Wie entstehen Trends?

InterviewsTrends

Was kommt? Was bleibt? und warum? Trendscoutin @karolina.landowski nimmt uns dazu mit in die Welt der großen Megatrends und kurzfristigen Modetrends. Dank ihr wird klar, warum wir so gerne von Skandinavien inspirieren lassen, wie Corona mit dicken Daunenmänteln und festen Schuhprofilen zusammenhängt und wie auch Instagram-Filter ein Trendindikator sein können.⁠

Liebe Karolina, vielen Dank, dass du für uns Licht ins Dunkel bringst, wie Trends entstehen und wie du sie entdeckst. Bei der Premiere BLICKFANG Düsseldorf warst du als Trendscoutin bei der Designpreis-Jury dabei. Wenn du nicht auf der BLICKFANG bist, wie kann man sich einen „normalen“ Tag bei dir vorstellen?

Tatsächlich läuft jeder Tag bei mir anders.  Dadurch, dass ich Trends analysiere und recherchiere, schreibe ich und spreche ich natürlich auch darüber – als Journalistin und Speakerin. Das sind wunderbare Synergien. Und normalerweise reise ich auch sehr viel – sei es beruflich zu den Fashion Weeks und internationalen Messen und Ausstellungen oder auch privat.

Das Wichtigste ist alles aufzusaugen, was mir begegnet. In den Metropolen, aber auch im Internet, in den Sozialen Medien. Und in Magazinen und Büchern, denn hier sieht man direkt, was die Gesellschaft aktuell bewegt. Die oft schnelllebigen Trends aus der Mode sind nur kleine Kennzeichen für einen Megatrend, der uns bis zu einem Jahrzehnt begleiten kann. Dafür suche ich nach wiederkehrenden Mustern.

Vor drei Jahren war ich zum Beispiel in London. In einem Concept Store gab es eine schöne Auswahl an Büchern: Selbstoptimierung, Selfcare, Yoga – Trends, die in der breiten Masse angekommen sind. Ein Buch hatte besonders meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen: „How to do nothing“. Also das komplette Gegenteil. Solche Impulse nehme ich mit und beobachte sie weiter. Ich suche also nach Muster und Störfaktoren, die wiederum die nächsten Trends werden können.

Das Spannendste ist dabei, zu analysieren, wie alles zusammenhängt. Also wie sich ein längerer Megatrend die Trends in der Modebranche beeinflusst. Zum Beispiel der Megatrend Gender Shift und Diversity, der Unisexmode beeinflusst. Also Kleidung, die keine klare Zuordnung zu männlich oder weiblich mehr hat.  

Ich arbeite tatsächlich in einem Rahmen mindestens von drei Saisons gleichzeitig. Für Unternehmen erstelle ich Trend Forecasts, was kommen wird, was Farben, was Materialien betrifft. Für Einkäufer:innen erstelle ich Zusammenstellungen, welche Tendenzen sich in den verschiedenen Segmenten abzeichnen. Und für Store-Inhaber:innen arbeite ich eine Saison im Voraus.

Früher konnte man sich fast zurücklehnen konnte und einen Trend beobachten. Heute ist es sehr spannend zu sehen, wie sich ein Trend innerhalb einer Zeitspanne weiterentwickeln kann.

Nehmen wir zum Beispiel die aktuelle Wintermode: An Daunenjacken, gepolsterten Taschen und Schuhen mit starkem Profil kommt man gerade kaum vorbei. Die schützenden Daunenmäntel etablieren sich seit Jahren immer stärker. Bei Trends steckt ja auch ein psychologischer Faktor dahinter: Je häufiger man etwas sieht, desto besser findet man es selbst. Und was im Segment Mäntel funktioniert – viel weiches, schützendes Volumen um uns herum – das funktioniert auch für Accessoires wie die Padded Bags. Oder der aktuelle Trend Chunky Boots mit ausgeprägtem Schuhprofil: Wir müssen mit beiden Beinen fest auf dem Boden stehen. Beide Trends zeigen: Wir möchten die Außenwelt nicht zu sehr an uns heranlassen.

Auf jeden Fall. Das trifft auf eure Labels genauso zu wie auf die BLICKFANG selbst. Trendthemen werden immer kleiner, vielfältiger. Das Trendcluster wird enger. Und schreitet noch weiter voran: Es wird künftig mehr „love brands“ geben. Marken, die man einfach liebt, weil sie für etwas stehen. Und die ihrerseits auch selbst für Innovation und Trendsetting stehen. Das ist der große Unterschied zur Dynamik mit den Trenddrivern. Also den globalen Marken, die die großen Trends vorgeben, die von mittleren und kleinen Labels aufgegriffen werden können. Die love brands setzen Impulse, die sich von kleineren Gesellschaftsgruppen bis in die Mitte und die Einkaufsstraßen durchsetzen werden.

Die beiden Bereiche bedingen sich sehr – man denke nur an die Trenddrivers. Die Mode ist hier normalerweise einen Schritt voraus, da die Hersteller zwei bis vier Kollektionen pro Jahr herausbringen. Was sich gerade in der Mode und im Interior durchsetzt ist die minimalistische Farbgebung. Wir drücken uns gerade mehr durch Haptik, Strick und Stofflichkeit aus als durch Farben. In der Interiorszene haben wir analog dazu das „Cocooning“, einen Rückzug ins Häusliche. Schon vor Corona waren wir übersättigt, überarbeitet. Wir sehnen uns nach Harmonie. Softe Farben befriedigen unser Bedürfnis danach. Hier macht es Skandinavien vor.

Dänen und Schweden haben es perfektioniert, es sich gemütlich zu machen. Es ist ihre unglaubliche Nettigkeit und auch verspielte Einfachheit, nach der wir uns alle sehnen. In Skandinavien kommen viel natürliche Materialien mit einer unglaublichen Lässigkeit zum Einsatz. Und auch hier kommt dazu: Skandinavien als Gesellschaft ist so viel weiter als wir: Nehmen wir nur die Themen Umweltschutz, Gleichberechtigung oder Work Life Balance. Auch danach sehnen wir uns.

Tatsächlich werden die 70er ein echtes Revival erleben. Der Grund für diese „Retro-Nostalgia“ ist unser der Wunsch nach schöneren Zeiten, vielleicht auch nach unserer Kindheit. Wir schwelgen in Erinnerungen. Und wer die 70er erlebt hat, erkennt sie auch wieder. Die GenZ, also die Menschen, die zwischen 1995 und 2012 geboren wurden, kennen weder die 70er noch die 90er, für sie sind es absolut neue Looks. Und natürlich finden wir diese Retro-Nostalgia nicht nur in der Mode: Wir finden sie überall. In sozialen Medien mit Retro-Filtern. In Kinofilmen, wie Licorice Pizza oder House of Gucci.

Tatsächlich werden die 70ies und die „Retro-Nostalgia“ ein großes Thema sein, aber auch der Grunge der 90er kehrt zurück. Angefangen von Farben und Mustern bis hin zu den Schnitten. Wir werden in Kindheitserinnerungen schwelgen. Aber auch monochrome Looks werden wir weiter sehen: Sie werden allerdings farbiger und individueller. Neben All White werden wir uns auf in All Pink oder All Green kleiden. Während momentan die Kleidungsstücke weit und oversized sind – denken wir nur an Billie Eilish – kommt ein Wandel zur neuen Körperlichkeit. Spannende Cut Outs, Miniröcke, enge Bodycon-Kleider sind nicht mehr mit einer Konfektionsgröße gekoppelt.

Endlich wieder Farben – in unserem Leben und im Kleiderschrank. Farbe ist ein Stimmungsaufheller, deshalb sprechen wir auch vom „Dopamine Dressing“. Wir setzen Glückshormone frei! Apfelgrün, Gelb, Orange, Pink. Alles ist möglich. Aber auch auf den Glamour-Faktor freue ich mich. Wir werden wieder mehr Glitzern und Glänzen. Nicht nur abends, sondern auch im Büro mit Pailletten und glänzenden Satinstoffen. Mode wird mehr denn je zeigen, dass sie ein Ausbruch aus der Realität, aus dem Alltag ist.

Einfach ausprobieren. Wer sich an einen Trend herantasten möchte, der setzt damit erstmal nur Akzente. Statt von Kopf bis Fuß auf Apfelgrün zu gehen, setzen eine Tasche oder bunte Boots Impulse.

Die Düsseldorferin Karolina Landowski ist freie Modejournalistin und Trendanalystin. Sie betreut die Womanswear beim Deutschen Mode-Institut und schreibt für Magazine über Mode und ihre Macher, über Zeitgeist und Zukunftstrends. Mit Fashion Trend Pool hat Karolina ein internationales Netzwerk aus Fashionexperten gegründet, hält Lectures und Trendvorträge, berät Marken aus Industrie und Handel und unterrichtet Fashion Forecast an der AMD Akademie für Modedesign.

Chat öffnen
1
Wie können wir dir weiterhelfen?
Consent Management Platform von Real Cookie Banner